Brauchtum
Henk Wolf, 14.1.2021
Was ist Brauchtum? Ist die neue Männermode im Schaufenster Brauchtum, weil Männer schon seit Jahrhunderten Hosen tragen? Oder ist der neue Opel Astra Brauchtum, da viele Generationen sich schon auf Rädern fortbewegen?
Ich glaube nicht. Als Wort steht Brauchtum dem Folkloristischen ziemlich nahe. Es bezieht sich meistens auf Traditionen, die vorallem der Nostalgie, dem Heimatgefühl und dem Tourismus dienen. Brauchtümer sind Trachten, sind Osterfeuer, sind Ringreiten. Für Brauchtümer setzt man sich extra hin – man pflegt sie und lässt sie dann wieder eine Weile hinter sich, sobald der Alltag wieder einkehrt.
Als wir gestern das Wort Sküüldouk als beste saterfriesische Übersetzung von ‘Mund-Nasen-Schutz’ gekürt haben, hat die deutsche Presse darüber zu meiner großen Freude ausführlich berichtet. Unter Medienpräsenz konnte nur ein Teil der vielen Zeitungsartikel verzeichnet werden, so groß war das Interesse. Ein wenig gewundert hat mich jedoch, dass einige Zeitungen dem Bericht mit dem Schlagwort Brauchtum versehen haben. Ein paar Beispiele:
Ich fand es merkwürdig, denn: Wettbewerbe, in denen sich Menschen neue Wörter ausdenken sind doch wohl kaum ein Brauchtum? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solcher Wettbewerb auf Westfriesisch oder auf Niederländisch oder auf Deutsch als Brauchtum angedeutet wird. Solche Wettbewerbe gab es nicht oder kaum, als ich ein Kind war. Sie sind erst in der Internet-Ära zum Phänomen geworden.
Wenn nicht der Wettbewerb an sich, was ist denn brauchtümlich in diesen Zeitungsartikeln? Ist es die saterfriesische Sprache an sich? Da wird es doch ein kleines bisschen weniger witzig. Die Friesen sind eine offiziell anerkannte Minderheit, die dabei ist, sich sprachlich zu emanizipieren. Die friesischen Sprachen, die Alltagssprachen von vielen Menschen, sind genauso wenig ein Brauchtum wie es die deutsche, die türkische oder die englische Sprache sind. Man legt sie nicht neben sich hin, wie das Trachtenkleid, sobald das Tanzfest vorüber ist und der Arbeitstag ansteht. Man denkt, redet, trauert und feiert, liebt und streitet in dieser Sprache – alle Tage wieder.
Die Friesen in den Niederlanden würden es nicht mehr akzeptieren, wenn man ihre Sprache als brauchtümlich in die gleiche Kategorie wie Schützenfeste, Trachten und Holzschnitzerei unterbringt. Das Saterfriesische gehört auch nicht in diese Kategorien.
So is dät! Wie sunt neen Relikte uut’t Museum. Wie wollen jädden n Toukumst häbe.