Henk Wolf, 1.5.2022
Während Deutsch, Holländisch und Englisch die verwandten Wörter Kind/Child/Kid für die jüngsten Menschen erhalten haben, ist dieses Wort in den friesischen Sprachen verschwunden. Stattdessen wird in den meisten friesischen Mundarten ein Wort verwendet, das ursprünglich ‘geborene(r)’, ‘gebärene(r)’ bedeutet. Gebären bedeutete früher ‘tragen’ (wie das englische to bear es heute noch tut).
Im Westfriesischen ist dieses Wort für ‘Kind’ bern, im Festlandnordfriesischen bjarn und im Saterfriesischen Bäiden. Sofort fällt auf, dass Saterfriesisch hier ein -d- verwendet, während die beiden anderen friesischen Sprachen ein -r- haben.
Das charakterisiert das Saterfriesische. Anscheinend mochten die alten Saterländer das –r- nicht so gerne, denn sie haben diesen Mitlaut massenhaft aus ihrer Sprache gestrichen. In gjucht (‘recht’) und Gjome (‘Riemen’) ist es zum g- geworden, in tjo (‘drei’) ist es einfach verschwunden und in vielen anderen Wörtern wurde es durch -d- ersetzt.
Das ist nicht so merkwürdig. Das -r- ist ein schwieriger Laut und das gilt insbesondere für das Zungen-r der Saterländer. Viele Kinder tun sich schwer, diesen Laut auszusprechen und einige lernen es nie. Man sieht daher, dass das -r- langsam aus den europäischen Sprachen verschwindet.
Dass ein Zungen-r zum -d- wird, ist auch nicht so merkwürdig, da diese Laute fast identisch artikuliert werden. In der Provinz Fryslân, wo jedes nicht mit der Zungenspitze gesprochene -r- als Sprechstörung angesehen wird, lehren Sprachtherapeuten Kinder, die das -r- nicht hinbekommen, statt -r- erstmal -ed- zu sagen.
Die alten Saterländer haben das in vielen Wörtern spontan so gemacht, vor allem zwischen einem Selbstlaut und -n-, wo das -r- besonders hart sein kann. Das Ergebnis sind schöne saterfriesische Wörter wie Bäiden (‘Kind’), Touden (‘Dorn’), Iedenst (‘Ernst’) und Aden (‘Ernte’).
Übrigens fanden auch die West- und Nordfriesen das -r- an dieser Stelle zu hart, um es zu erhalten. Es wird zwar noch geschrieben, aber es wird längst bän/bjaan gesagt.