Die Aussprache des Saterfriesischen vor 100 Jahren
Henk Wolf, 4.11.2022
In den 1920er Jahren hat der Sprachwissenschaftler Dr. Theodor Siebs im ganzen friesischsprachigen Gebiet Sprachaufnahmen gemacht. Sprecher aus der niederländischen Provinz Fryslân, aus Nordfriesland, aus dem Saterland und sogar von der Insel Wangerooge sprachen und sangen in ihrer friesischen Mundart und das Ergebnis wurde auf Schellakplatten aufgenommen.
Leider hat sich die Qualität dieser Platten im Laufe von fast einem Jahrhundert erheblich verringert. Dazu kommt, dass man fast nirgendwo mehr alte Grammophone findet, mit denen man die Platten abspielen kann. Daher haben Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten mehrmals versucht, die Aufnahmen zu digitalisieren und verbessern.
Das friesische Filmarchiv und die Fryske Akademy in Leeuwarden haben es neulich auch versucht. Sie haben eine neue Technik verwendet und obwohl nicht alle Aufnahmen gut verständlich sind, gibt es auch welche mit einer erstaunlich guten Qualität. Die Aufnahmen wurden außerdem umsonst im Internet zur Verfügung gestellt, damit jeder sie anhören kann.
Es fällt sofort auf, dass die Aussprache des Saterfriesischen sich geändert hat. In Wörtern wie ‘Lound’ (Land) und ‘Hounde’ (Hand) hört man heutzutage den au-Laut von ‘Haus’, vor hundert Jahren hörte man jedoch einen oo-ähnlichen Laut.
Noch auffälliger ist, dass das w sich geändert hat. Heutzutage wird in Wörtern wie ‘wo’ (wie) und ‘kwede’ (sagen) die gleiche Aussprache wie in deutschen Wörtern wie ‘wo’ und ‘zwingen’ verwendet. Vor 100 Jahren klang das saterfriesische w jedoch wie im Englischen. Es wurde nicht mit der Oberlippe und den Zähnen, sondern mit beiden Lippen geformt. Das verlieh Saterfriesisch einen ganz anderen Klang als heute.
Das “zwei-Lippen-w” gab es in allen verwandten Sprachen. Wir wissen aus alten Grammatikbüchern, dass es sich in den friesischen Sprachen lang gehalten hat – viel länger als im Deutschen, zum Beispiel, aber dass es vor 100 Jahren im Saterland noch existierte, ist doch eine besondere Entdeckung.
(Auch als Sprachkolumne im General-Anzeiger erschienen.)