Einige Lektionen aus Nordfriesland
Henk Wolf, 5.3.2022
Momentan bin ich in Nordfriesland, wo ich der Konferenz “Friisk önjt schölj” beigewohnt habe. Die war interessant, dazu gleich mehr, aber wie eigentlich immer bei Konferenzen waren die informellen Gespräche die Höhepunkte, die zur Aktion anregen.
Ich glaube, dass manch ein Keim für weitere Zusammenarbeit zwischen den Frieslanden gelegt wurde. Nicht nur können Saterfriesen und Nordfriesen sich gegenseitig unterstützen, sie verfolgen auch mehr gemeinsame Ziele als wir bislang meinten. So fehlt es allen Friesen in Deutschland an einer strukturellen Infrastruktur für die Förderung ihrer Sprache und Kultur. Währen die dänische Minderheit, die Sorben, die niederdeutsche Sprachgruppe aber vor allem die hochdeutsche Mehrheit viele unbefristete Wissenschaftler, Beauftragte, Beamten und und und habe, die sich für sie einsetzen, sind die Friesen großteils von der Arbeit von ehrenamtlichen und den zusätzlichen Anstrengungen von begeisterten Lehrern abhängig. Eine Infrastruktur aufbauen können die Friesen in Schleswig-Holstein und die in Niedersachsen natürlich getrennt von einander versuchen, aber eine gemeinsame Anstrengung wäre möglicherweise erfolgreicher.
Die Vorträge waren auch interessant. Jeroen Darquennes von der Universität in Namur/Namen zeigte verschiedene Modelle für die Revitalisierung von Sprachen. Daraus konnte man lernen, dass man im Voraus ziemlich gut sagen kann, ob eine Sprachpolitike erfolgreich sein wird oder nicht. Die bisherige Politik für das Friesische in Deutschland ist trotz gutem Willen nicht in die Lage gekommen, die Stellung der Sprache deutlich zu verbessern und es gibt Vorbilder aus dem Ausland, die zeigen, wie man eine effektivere Sprachpolitik führen kann. Dreisprachige Schulen, wie in Westfriesland und zweisprachige wie im Baskenland gehören zu diesen potentiellen Vorbildern für die Friesen. Sprachpolitik kann auch nicht nur Schulpolitik sein: wenn eine Sprache nur Schulfach ist und kein Umfeld geschaffen wird, in dem die Sprache ganz natürlich verwendet wird, kommt sie nicht voran.
Das erzählte auch Jana Schulz vom sorbischen Institut in Bautzen. Bei den Sorben arbeiten auf allen politischen, wissenschaftlichen und amtlichen Ebenen Menschen für die Förderung des Sorbischen zusammen. Die von den Friesen so ersehnten Infrastruktur für die Sprachen ist bei den Sorben allerdings da und das führt dazu, dass diese kleine Sprachgruppe trotz Schwierigkeiten verschiedener Art wenigstens über ausgebildete Lehrkräfte und gute, moderne Lernmaterialien verfügt.
Lena Grützmacher zeigte, wieso die Friesen auf Aktion bestehen sollen, wo es ihre Sprache anbetrifft. Die Anzahl von nordfriesischen Schulen mit Friesisch im Angebot ist in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken. Das gleiche gilt für die Stundenzahl, die für Friesisch zur Verfügung steht. Frau Grützmacher ist alleine für die Ausbildung von Friesischlehrkräften und für die Materialentwicklung zuständig und braucht dringend mehr Stunden. Sie sprach auch das Problem an, dass Friesisch kein Pflichtfach ist.
Letzteres ist merkwürdig, da die schleswig-holsteinische Unterrichtsministerin sogar das Wort “Gleichberechtigung” für Deutsch und die Minderheitensprachen in den Mund nam. Im Unterricht ist von einer solchen Gleichberechtigung natürlich nicht die Rede.
Die Diskussionen nachher zeigten, dass unter den Nordfriesen einen großen Handlungsbedarf besteht. Die große Abhängigkeit von ehrenamtlicher Arbeit wird bei immer höherer Belastung von Lehrpersonal und sinkenden Sprecherzahlen langsam so schwer, dass sie nicht mehr zumutbar sei.
Eine wichtige Frage, die von verschiedenen Menschen angesprochen wurde, ist politischer Natur: welchem Ziel soll der Friesischunterricht dienen? Forschung von Lena Terhard zeigt, dass der heutige Friesischunterricht kaum als Sprachunterricht erfahren wird, da die Stundenzahl zu gering ist, um Kindern und Jugendlichen Friesisch beizubringen. Will man die Sprache erhalten oder gar fördern, so soll man ins Ausland schauen, wie es dort gemacht wird und die Bildungspolitik weitgehend ändern. Will man nur das Heimatgefühl durch eine wöchentliche Unterrichtsstunde unterstreichen, so sollte man das auch laut sagen, denn mehr als das bringt das heutige System nicht hervor.
Saterland schneidet daneben in einer Hinsicht gut ab: es gab lange eine große Gruppe von Helferinnen, die sich ehrenamtlich ohne viel Bürokratie für das Saterfriesische in Kitas und Schulen eingesetzt hat – eine Anstrengung, die durch die Gemeinde unterstützt wird, auch finanziell, und die die Grundlage bildet für die heutige “Nachbildung” (wenn man es so nennen darf) durch Muttersprachler außerhalb der Hochschulstruktur.