Er braucht keinen Sack über dem Kopf

Henk Wolf, 23.2.2022

An der Universität in Groningen habe ich eine Arbeitskollegin aus Portugal. Sie spricht viele Sprachen, darunter Frysk (die westfriesische Sprache aus der niederländischen Provinz Fryslân). Ihr ist aufgefallen, dass die Friesen und Portugiesen zwei entgegengestellte Stilfiguren lieben: die Friesen untertreiben gerne, während die Portugiesen lieber übertreiben.

Dies illustrierte sie anhand von zwei interessanten Beispielen. Das eine war das erste Mal, als ihr heutiger friesischer Mann bei ihr zuhause war und sie eine Mahlzeit für ihn gekocht hatte. Sie aßen, es war gemütlich, aber sie erhielt keine Komplimente, während man die in Portugal wahrscheinlich schon vielmals über den Tisch gestreut hätte. Als sie schließlich fragte, wie es geschmeckt hatte, antwortete er: “It komt der net fuort wer út” – Es kommt nicht sofort wieder heraus. Für mich als Westfriese keine außergewöhnliche Aussage, für sie als Portugiesin erschütternd. Zum Glück ist sie Sprachwissenschaftlerin und begriff sie, dass verschiedene Sprachgemeinschaften verschiedene Ausdrucksweisen haben. Auch die westlichen und südlichen Niederländer können übrigens die friesische Untertreibung nicht immer richtig einordnen.

Das zweite Beispiel war ein Terrassenbesuch mit einigen friesischen Damen. Als ein hübscher Mann ihnen zulächelte, flüsterten die Friesinnen einander zu: “Hy hoecht gjin sek oer de kop” (Er braucht keinen Sack über dem Kopf) und “Hy is net slim ûnsjoch” (Er is nicht ausgesprochen hässlich). Meine Kollegin hätte etwas in der Art von “Ich würde für ihn sterben” oder “Jede Pore in meiner Haut sehnt sich nach ihm” erwartet.

Ich glaube, dass die Saterfriesen den niederländischen Friesen näher stehen, obwohl die Untertreibung als Kultus im Saterland mir etwas weniger ausgesprochen vorkommt. Auch von den Nordfriesen in Schleswig-Holstein habe ich den Eindruck, dass ihnen leichter ein “ai hiinj” (nicht schlecht) als ein “fantastisch!” über die Zunge rollt.

(Auch als Kolumne im General-Anzeiger erschienen)