Saterfriesisch aus dem 19. Jahrhundert
Henk Wolf, 19.3.2022
“Im Winter fliegen die trockenen Blätter in der Luft herum.” Für die allermeisten Menschen einfach ein Satz, für eine sehr kleine Gruppe von Sprachforschern ein Satz, der genauso vertraut wirkt wie zum Beispiel “Der Klügere gibt nach” oder “Wir ziehen durch die Straßen und die Clubs dieser Stadt”.
Es ist nämlich der erste sogenannte Wenker-Satz. Der Sprachwissenschaftler Georg Wenker verfasste 1880 vierzig Sätze und schickte sie an Schulmeister und Pfarrer in ganz Deutschland, mit der Bitte sie in die örtliche Mundart zu übersetzen und sie ihm zurückzuschicken. Sich auf diese Art und Weise Informationen zu verschaffen war damals etwas ganz neues. Wenker wurde somit zum Vater der deutschen Korpuslinguistik – der Sprachwissenschaft anhand großer Datenmengen.
Die Wenker-Sätze landeten auch im Saterland. Der arme Sprachwissenschaftler hat für seine Forschungsarbeit mehr Briefmarken gespendet als die meisten Menschen im ganzen Leben kaufen, denn alleine im Saterland sandten fünf Menschen ihm ihre örtlichen Übersetzungen. Aus Ramsloh, Hollen, Hollenermoor, Strücklingen und Sedelsberg kamen Rückmeldungen.
Wenker verarbeitete die Daten im ‘Sprachatlas des Deutschen Reichs’, aus dem der heutige Deutsche Sprachatlas (DSA) hervorgegangen ist und dieser ist auch außerhalb der kleinen sprachwissenschaftlichen Welt vielen Menschen ein Begriff.
Es ist interessant, zu sehen, dass auch die Rückmeldung aus Sedelsberg, das meistens als nicht-saterfriesischsprachig angesehen wird, auf Saterfriesisch war. Offenbar wurde dort 1880 doch Saterfriesisch gesprochen. Wie in Scharrel und Strücklingen sagten die Sedelsberger ‘maakje’, während man in Ramsloh, Hollen und Hollenermoor ‘moakje’ sagte – und noch sagt.
Die Wenker-Sätze werden auch heutzutage noch verwendet, zum Beispiel für die Verfassung der saterfriesischen Grammatik. Auch meine 14 Friesischstudenten der NHL Stenden Hogeschool, die sich zur Zeit in die saterfriesische Sprache vertiefen, haben sie verglichen, damit sie einen Eindruck von den Unterschieden zwischen den Dörfern erhalten.
(auch als Kolumne im General-Anzeiger erschienen)