Henk Wolf, 28.3.2022
Es gibt eine Regel, die in fast allen Sprachen der Welt besteht, aber nicht im Saterfriesischen, nämlich dass die Meiststufe nicht regelmäßig sein kann, wenn die Mehrstufe unregelmäßig ist.
Um das zu verstehen müssen wir den Begriff “Steigerungsstufen” erstmal auffrischen. Lasst uns dazu mal folgenden Satz nehmen: “Der eine Nachbar ist dick, der andere ist noch dicker und von den dreien ist der Nachbar gegenüber der dickste.”
‘Dick’ ist hier die Grundstufe, ‘dicker’ ist die Mehrstufe oder der Komparativ und ‘dickste’ ist die Meiststufe oder der Superlativ. Mit jeder Stufe wird die Eigenschaft weiter gesteigert.
In den meisten Fällen bildet man die Mehrstufe, indem man an die Grundstufe den Ausgang -er anhängt. Für die Meiststufe hängt man -st an. Das ist im Deutschen der Fall, im Plattdeutschen und auch im Saterfriesischen.
Ein paar Wörter haben unregelmäßige Formen: man sagt nicht ‘gut-guter-gutst’, sondern ‘gut-besser-best’, nicht ‘gerne-gerner-gernst’, sonder ‘gerne-lieber-liebst’. Nun hat der Sprachforscher Jonathan Bobaljik entdeckt, dass in fast allen Sprachen der Welt eine unregelmäßige Mehrstufe bedeutet, dass die Meiststufe auch unregelmäßig ist. Sein Kollege Josh Donegani hat sogar entdeckt, dass Menschen, die eine Kunstsprache lernen, dies automatisch so tun.
Aber das ist ohne Saterfriesisch gerechnet! Die Saterländer sagen ‘hoog-hager-hoogst’ (hoch-höher-höchst), ‘oold-aller-ooldst’ (alt-älter-ältest), ‘groot-gratter-grootst’ (groß-größer-größt). Die Mehrstufe weicht ab, aber die Meiststufe ist regelmäßig. Das sollte aus sprachwissenschaftlicher Sicht gar nicht möglich sein!
‘Hoog-hager-hoogst’ hat inzwischen Konkurrenz von ‘hoog-hager-haagst’ und das zeigt, dass die Saterländer mit dieser merkwürdigen Lage unbewußt auch unzufrieden sind und ihre Sprache den anderen Tausenden von Sprachen der Welt ein bisschen angleichen. Offenbar ist die Vorliebe für vergleichbare Mehr- und Meiststufen im menschlichen Gehirn vorprogrammiert.
(auch als Kolumne im General-Anzeiger erschienen)