Warum gibt es unregelmäßige Steigerungsformen im Saterfriesischen?
Henk Wolf, 15.2.2024
Früher sagten die Friesen aa statt oo
Letztes Jahr habe ich mal eine Kolumne über saterfriesische Steigerungsreihen, wie “hooch-hager-hoochst” (hoch-höher-höchst) und “swäit-swätter-swäitest” (süß-süßer-süßest) geschrieben. Diese Reihen fallen auf, weil das jeweils mittlere Wort (die Mehrstufe oder der Komparativ) von den beiden anderen abweicht. Sprachwissenschaftlich ist das sehr interessant, da es nur sehr selten vorkommt, dass nur die Mehrstufe abweicht.
Neulich fragte mich jemand, wie es möglich ist, dass das Saterfriesische diese besonderen Mehrstufen hat. Die Frage beantworte ich hier gerne.
Die Mehrstufe war ursprünglich gar nicht unregelmäßig. Im Gegenteil: Sie zeigt noch die mittelalterliche Aussprache. Die alten Friesen sagten nämlich etwa “haach-haagera-haagest” und “swäät-swääter-swäätst” und die Friesen in den Niederlanden haben immer noch regelmäßige Steigerungsreihen: “heech-heger-heechst” und “swiet-swieter-swietst”. Die Friesen in Deutschland haben jedoch im Laufe der Jahrhunderte einige Laute in geschlossenen Silben geändert. Statt “haach” und “haachst” sagten sie weiterhin “hooch” und “hoochst. Statt “swäät” und “swäätst” wurde “swäit” und “swäitst” gesagt. In den Mehrstufen “haa-ger” und “swää-ter” standen die a- und ä-Laute in offenen Silben, in denen der Lautwandel nicht stattgefunden hat. Dadurch hat der alte Laut in diesen Wörtern überlebt, obwohl er in einigen solcher Wörter (wie “swätter”) verkürzt wurde. Das hatte jedoch eine andere Ursache.
Nicht alle Mehrstufen, die im heutigen Saterfriesischen unregelmäßig sind, sind übrigens die ursprünglichen Formen. Die Steigerungsreihe “groot-gratter-grootst” (groß-größer-größt) ähnelt der Reihe “hooch-hager-hoochst”, und tatsächlich hatte das mittelalterliche friesische Wort für groß den a-Laut (etwa “graat”), aber damals waren die Mehr- und Meiststufe noch unregelmäßig. Die damalige Reihe war “graat-marra-maast”. “Gratter” und “grootst” sind erst später entstanden.
(Auch im General-Anzeiger erschienen)