Wie sich Saterfriesisch und Latein ähnlich sind

Henk Wolf, 5.2.2022

Die Wörter ‘Säärke’ für Kirche und ‘Sies’ für Käse vermögen es, dem Saterfriesischen in den Augen von Hoch- und Plattdeutschsprechern einen ganz exotischen Charakter zu geben. Für West- und Nordfriesen ist das weniger der Fall. Das Westfriesische hat ‘Tsjerke’ und ‘tsiis’, das Nordfriesische ‘schörk’ und ‘säis’.

Die friesischen s-Laute unterscheiden sich stark von dem deutschen k-Laut und man sieht nicht auf dem ersten Blick, dass wir es mit dem gleichen Wort zu tun haben. Doch ist dies der Fall: in den friesischen Sprachen wurde ein altes k oft durch tsj- oder ts- ersetzt. Das passierte nicht von einem Tag auf den nächsten, die Zunge bewegte sich einfach über Generationen hinweg immer ein bisschen weiter nach vorne, bis der Laut nicht länger wie k klang. Aus ts(j) ist das -t später manchmal wieder verschwunden.

Auch wenn sich dieser Lautwandel merkwürdig anhört: er kommt in der Sprachgeschichte sehr häufig vor. Das Englische und teilweise auch das Schwedische haben ungefähr gleichzeitig mit den friesischen Sprachen den gleichen Lautwandel durchgemacht und zwar im Mittelalter. Wahrscheinlich haben die Sprachen sich durch den Nordseehandel gegenseitig beeinflusst.

Auch im Latein hat dieser Lautwandel stattgefunden, aber schon viel früher. Julius Caesar hat seinen Namen wahrscheinlich noch als ‘Kaisar’ ausgesprochen – ihm verdankt die deutsche Sprache das Lehnwort ‘Kaiser’, aber im späteren Latein wurde er zu ‘Seesar’, was heute die übliche Aussprache ist.

Noch viel früher in der Sprachgeschichte finden wir die gleiche Veränderung ein weiteres Mal: das Slavische, aus dem zum Beispiel Russisch und Polnisch entstanden sind, hat viele Wörter mit s-, die aus k- entstanden sind, darunter das Wort für 100: sto. Wie auch das deutsche ‘hundert’ und das französische ‘cent’ (und viele andere Wörter) ist es vermutlich aus dem Wort ‘kmt’ entstanden, in der indo-europäischen Ursprache, aus der fast alle heutige europäische Sprachen entstanden sind.

(Auch unter dem Titel ‘Bewegung der Zunge über Jahrhunderte hinweg’ als Kolumne im General-Anzeiger erschienen.)