Wozu braucht es eine Grammatik?

Henk Wolf, 21.2.2022

Heute ist der internationale Tag der Muttersprache und wie üblich widmeten viele Medien den Regional- und Minderheitensprachen in diesem Rahmen ihre Aufmerksamkeit. Das Saterfriesische blieb auch nicht unberücksichtigt und die TAZ veröffentlichte einen netten Artikel, in dem die neue saterfriesische Grammatik eine große Rolle spielte.

Darauf reagierte jemand unter Pseudonym mit der zynischen Mitteilung, Sprachen wären mit einer Grammatik nicht geholfen, es bedarf eher eine Kindersendung im Fernsehen.

Ich bin vielleicht mit dem Zynismus der sozialen Medien zu wenig vertraut, denn diese Art von Zynismus, dieses Besserwissen von Laien, macht mich manchmal so müde. Warum diese Bemerkung, nur Sprachforscher seien mit einer Grammatik bedient?

Zu allererst: Sprachforschung ist wichtig und es muß sich nicht immer alles um Kinder drehen. Auch wenn nur Sprachforscher Interesse an einer Grammatik hätten, hätte diese eine Existenzbegründung, denn sie verarbeiten ihr Wissen in größeren Theorien, die uns helfen, immer besser zu verstehen, wie der Mensch und sein Gehirn funktionieren.

Eine Grammatik ist jedoch nicht nur für Sprachforscher wichtig. Dass Fernsehsendungen auf Saterfriesisch nützlich und wertvoll und sehr wünschenswert sind, bestreitet keiner. Es gibt im Moment jedoch niemanden, der eine machen könnte. Zu wenig Menschen beherrschen Saterfriesich, wir können nicht mal genug Menschen finden, die den Kindern in den Kitas und Schulen Saterfriesisch beibringen können.

Daher bilden wir diese Menschen jetzt aus: Erwachsene aus dem Saterland und sehr weiter Umgebung, die sich für die Sprache interessieren und sie irgendwo zwischen ein bisschen und gar nicht sprechen können. Ziel ist, dass diese Menschen, von siebzehn bis über neunzig Jahre alt, imstande sind, Saterfriesisch zu unterrichten, aber auch Kinderbücher in die Sprache zu übersetzen oder sie vielleicht auf Saterfriesisch zu schreiben, vielleicht sogar Kindersendungen zu machen – vielleicht zuerst auf YouTube oder TikTok und wer weiß später beim NDR oder im Kino. Die Nordfriesen haben letzteres neulich auch geschafft, warum die Saterfriesen dann nicht?

Der nordfriesische Filmemacher hat Friesisch auch als Zweitsprache gelernt. Wie unsere Lernenden im Saterland hat er einen Kurs gemacht und daneben in einer friesischsprachigen Gasthaushalt gewohnt. Das reicht aber nicht: Erwachsene brauchen Wörterbücher und – jawohl! – Grammatikbücher um eine Sprache zu lernen. Das gilt für alle Stufen des Lernens: sogar der Muttersprachler zweifelt ab und zu, wie man dies oder das nochmal sagt.

Auch ich bin so einer: ich lerne Saterfriesisch, damit ich zusammen mit den Muttersprachlern alle möglichen Materialien schaffen kann, auch für Kinder. Mir fehlen dabei jeden Tag gute Nachschlagewerke und ich kann auch nicht mit jeder Sprachfage immer wieder meine hilfsbereiten aber beschäftigten muttersprachlichen Bekannten anrufen – wenn die die Antwort auf meine Fragen überhaupt haben.

Daher: eine Grammatik ist nicht das Ende der Investierung, weil sie einen Sprachforscher glücklich macht. Sie ist der Anfang des Emanzipierungsprozesses jeder Sprache, da sie es erwachsenen Menschen ermöglicht, eine Sprache (besser) zu lernen und somit das zu schaffen, was andere brauchen, darunter sehr sicher auch Kinder und Jugendliche.